Sonntag, 3. Juni 2012

Karl der Große und das Fragezeichen

Alle von euch, die mehr über Schrift im Mittelalter wissen wollen, möchte ich einen kurzen Blick auf die vorherrschende Buchschrift dieser Zeit werfen lassen: die karolingische Minuskel. Wie der Name bereits vermuten lässt, entstand sie zur Zeit und unter Einfluss Karls des Großen (ca. 747 – 814 n. Chr.) und prägte über 400 Jahre lang die Schriftkultur Europas.

Zu ihrer Entstehung gibt es die unterschiedlichsten Vermutungen über Ort und Zeit, da leider kein Schriftstück erhalten ist, das diese Faktoren eindeutig bestimmen würde. Tatsache ist jedoch, dass die karolingische Minuskel im Zuge von Karls Bildungsreform auftauchte.

Da Karl der erste durch einen Papst gekrönte Kaiser war, beabsichtigte er durch die Reform nicht nur die Verwaltung seines riesigen Frankenreiches zu verbessern, sondern vor allem die Christianisierung voranzutreiben. Er wollte, dass möglichst viele Menschen die Bibel lesen und auch verstehen konnten. Denn nach Karls Ansicht war es unmöglich, ein gottgefälliges, auf die Erlösung ausgerichtetes Leben zu führen, wenn fehlerhaftes Wissen zwischen dem Menschen und Gott stand. Weisheit war für ihn ein Wegweiser zum ewigen Leben. 

Abb. aus: Funke, Fritz: Buchkunde. Die historische Entwicklung des Buches von der Keilschrift bis zur Gegenwart. München 2006, S. 31

Deswegen mussten die vielen regionalen Dialekte und unterschiedlichsten Schriftbilder durch eine gemeinsame Gelehrtensprache – das Lateinische – sowie eine einheitliche Schrift ersetzt werden. Karl bemühte sich aber nicht nur um das Lateinische, er versuchte auch, die Volkssprache in geregeltere Bahnen zu lenken. Unter ihm wurden erstmals deutsche Heldenlieder schriftlich festgehalten, er gab den Monaten und Winden deutsche Namen und wagte überdies den Versuch einer fränkischen Grammatik.
Bildung war in Karls Verständnis nicht nur zum reinen Erlangen von Wissen da, sondern sollte ein tieferes Verständnis der christlichen Lehre vermitteln sowie den Geistlichen eine angemessene Durchführung der Gottesdienste ermöglichen.

Um dieses Wissen also möglichst weit zu verbreiten, war die Schrift ein wichtiges Instrument, da mit ihr Lehrbücher erstellt und vervielfältigt wurden. Einfach sollte sie sein, klar und leicht lesbar, um nicht vom Inhalt und der Idee dahinter abzulenken. Außerdem: je lesbarer und deutlicher die Schrift, desto einfacher und fehlerloser war sie abzuschreiben – selbst von ungeübten Schreibern.

Die Schrift, die all das möglich machen sollte, wurde die karolingische Minuskel, auch „Carolina“ genannt. Um das Jahr 800 herum taucht das erste heute noch existierende Schriftstück in karolingischer Minuskel auf. Sie verbreitete sich innerhalb Karls gewaltigem Reich von Frankreich aus über Deutschland, die Schweiz und Oberitalien bis weit nach Skandinavien, Spanien, England und schließlich auch Süditalien aus. Aber ob sie nun von Karl selbst stammte, aus einem der Klöster – die im Mittelalter fast als Einzige Lese- und/oder Schreibkundige ausbildeten – oder in Karls Hofschule erfunden wurde, wird wohl für immer im Dunkel der Geschichte verborgen bleiben.

Wichtig ist jedoch, dass wir der karolingischen Minuskel eine ganze Menge verdanken: mit ihr wurden erstmals Wörter durch Lücken voneinander getrennt, das Schriftbild wurde dank dickeren Grundstrichen und dünneren Haarstrichen viel lesbarer, die Anzahl ineinander übergehender Buchstaben nahm ab, im 12. Jahrhundert wurde das w erfunden und das Fragezeichen eingeführt.
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Quellen:
Becher, Matthias: Karl der Große. München 1999.
Förster, Hans / Frenz, Thomas: Abriss der lateinischen Paläographie. Stuttgart 2004.
Funke, Fritz: Buchkunde. Die historische Entwicklung des Buches von der Keilschrift bis zur Gegenwart. München 2006.
Restituere, renovare, reformare – Die karolingischen Reformen – Ein Überblick. URL: http://www.tu-dresden.de/sulcifra/frankreich/ma/spgesch/karolref.htm [21.1.2004 / 27.3.2008 14:38, jetzt inaktiv].
Von den Steinen, Wolfram: Der Neubeginn. In: Bischoff, Bernhard / Braunfels, Wolfgang (Hrsg.): Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben. Das geistige Leben. Bd. 2. Düsseldorf 1965.
Dieser Post beruht auf meiner Hausarbeit für das Fach Buchwissenschaft im Wintersemester 2007/2008 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen.

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